Samstag, 12. Mai 2012

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Was bitte versteht der Autor unter "Ungehorsam"?
Fachportal Bildung und seelische Gesundheit: "Am beunruhigendsten war indes der Befund, dass Krippenbetreuung sich unabhängig von sämtlichen anderen Messfaktoren negativ auf die sozioemotionalen Kompetenzen der Kinder auswirkt. Je mehr Zeit kumulativ Kinder in einer Einrichtung verbrachten, desto stärker zeigten sie später dissoziales Verhalten wie Streiten, Kämpfen, Sachbeschädigungen, Prahlen, Lügen, Schikanieren, Gemeinheiten begehen, Grausamkeit, Ungehorsam oder häufiges Schreien. Unter den ganztags betreuten Kindern zeigte ein Viertel im Alter von vier Jahren Problemverhalten, das dem klinischen Risikobereich zugeordnet werden muss. Später konnten bei den inzwischen 15 Jahre alten Jugendlichen signifikante Auffälligkeiten festgestellt werden, unter anderem Tabak- und Alkoholkonsum, Rauschgiftgebrauch, Diebstahl und Vandalismus. Noch ein weiteres, ebenfalls unerwartetes Ergebnis kristallisierte sich heraus: Die Verhaltensauffälligkeiten waren weitgehend unabhängig von der Qualität der Betreuung. Kinder, die sehr gute Einrichtungen besuchten, verhielten sich fast ebenso auffällig wie Kinder, die in Einrichtungen minderer Qualität betreut wurden. Grundsätzlich zeigte sich aber, dass das Erziehungsverhalten der Eltern einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Entwicklung ausübt als die Betreuungseinrichtungen.
Die Autoren der NICHD-Studie leiteten aus diesen Ergebnissen zahlreiche Empfehlungen ab. Kurz gefasst lauten diese: Die Qualität der Betreuung müsse gesteigert werden, die Dauer der Betreuung sei zu reduzieren, während die Eltern in ihrem Erziehungsauftrag gestärkt werden müssten. In den Vereinigten Staaten hat sich allenfalls des ersten Punktes angenommen. In Deutschland wiederum sind die Politiker auf dem besten Weg, die erste und dritte Empfehlung nicht ernst zu nehmen und die zweite Empfehlung – die Verringerung der Betreuungsdauer – in ihr Gegenteil zu verkehren.






Warum dieses Vorgehen mehr als bedenklich ist, zeigen wissenschaftliche Daten, die in den letzten zehn Jahren erhoben wurden. Sie belegen, dass es sich bei den Verhaltensauffälligkeiten, die die NICHD-Studie registriert wurden, nur um die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs handelt. Dank einer neuen Technik konnten Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten Ende der neunziger bei Kleinkindern in ganztägiger Betreuung in zwei Daycare Centers erstmals das Tagesprofil des wichtigsten Stresshormons Cortisol bestimmten. Entgegen dem normalen Verlauf im Kreis der Familie - hoher Wert am Morgen und kontinuierlicher Abfall zum Abend hin - stieg die Ausschüttung des Stresshormons während der ganztägigen Betreuung im Verlauf des Tages an – ein untrügliches Zeichen einer erheblichen chronischen Stressbelastung. In der ersten Einrichtung, deren Betreuungsqualität als gehoben gelten konnte, zeigten fast alle Kinder diesen auffälligen Verlauf. In der zweiten Einrichtung mit sehr hoher Betreuungsqualität standen am Abend immerhin noch fast drei Viertel der Kinder unter abnormem Stress. Eine Metaanalyse einer niederländischen Wissenschaftlerin, die neun ähnliche Folgestudien auswertete, hat diese Ergebnisse bestätigt. Somit muss als gesichert gelten, dass besorgniserregende Veränderungen des Cortisolprofils vor allem bei außerfamiliärer Betreuung von Kleinkindern auftreten, und das selbst bei qualitativ sehr guter Betreuung." (via)







"Unser Bildungssystem krankt zunehmend an seiner Überwältigung durch die Effizienzforderungen einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft. Bildung muss mehr sein als Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt. Selbst der höchstrangig besetzte Aktionsrat Bildung beschreibt mittlerweile die „Gefahr einer `Überkognitivierung´ und der Ignoranz gegenüber humanen Bildungswerten“.
Das Bildungssystem gerät dabei zunehmend auch in den Fokus der Medizin: Bildung kann krank machen. Übersteigerte Anforderungen an zeitliche Verfügbarkeit, Verlust von Familien- und Freizeit, Überfrachtung von Lehrplänen, Leistungsdruck, mangelhafte Ausstattung der Bildungsinstitutionen, primäre Sozialisation in peer groups, all dies fördert stressassoziierte Krankheitsbilder, u.a. sozioemotionale Störungen, Angststörungen, Depression. Hat sich die Medizin, speziell die Neurowissenschaften, bisher vor allem um Aspekte der Lernphysiologie gekümmert, so muss sie sich jetzt zunehmend auch mit den negativen seelischen Folgen eines entgleisenden Bildungssystems auseinandersetzen.






Am dramatischsten zeigt sich dies derzeit im Bereich der sogenannten frühkindlichen Bildung. Befeuert von den Renditeberechnungen des Ökonomen und Nobelpreisträgers James Heckman findet aktuell eine starke Expansion frühkindlicher Gruppenbetreuung statt. Aktuelle Studien zeigen, dass hierdurch massive chronische Stressbelastungen in hochsensiblen Phasen der frühen Hirnentwicklung ausgelöst werden, deren erhebliche Risiken für die langfristige seelische Gesundheit derzeit in Grundzügen sichtbar werden.
Unsere Bildungspolitik ist, wie viele andere Politikfelder, nicht hinreichend auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Wir brauchen dringend eine stärkere Berücksichtigung sozioemotionaler Bildungsziele. Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts werden wir nicht mit leistungsoptimierten, aber instabilen Persönlichkeiten bewältigen können. Für eine lebenswerte Zukunft müssen wir eine „empathische Zivilisation“ (Jeremy Rifkin) als oberstes Bildungsziel anstreben."



















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