Sonntag, 15. Januar 2012

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Carl Gustav Jung rechtfertigt den "Muttermord" als die "weltschöpferische Befreiungstat des männlichen Logos (Jung 1954, 116). Am Anfang aller Patriarchatskulturen steht der Kampf gegen das schöpferische Potential der Frau: Ob Atum, der altägyptische Sonnengott aus Heliopolis, die Welt in einsamer Onanie erschafft oder Ophion, der Nordwind im pelasgischen Schöpfungsmythos behauptet, er sei der Schöpfer der Welt (Ranke-Graves 1960, 1.c); ob der olympische Zeus die Göttin Athene aus seinem Kopf gebiert, oder ob Orest, der Muttermörder, nicht bestraft wird, weil Verwandtschaft mit der Mutter nicht bestünde, da die Frau nur die träge Ackerfurche sei, in die der Mann seinen Samen ergieße: In all diesen Männermythen spricht 'patriarchaler Logos' der Frau die schöpferische Fähigkeit ab im Himmel und auf Erden. Die männlichen Schöpfungsmythen sind unanschaulich und paradox. Muttermord ist nicht die weltschöpferische Befreiungstat des männlichen Logos, sondern die brutale Durchsetzung männlicher Macht, die den Vater anstelle der Mutter zum Gebärer und Weltenschöpfer aufwertet.







... Wenn die Analytische Psychologie ihr Konzept der 'Archetypen des kollektiven Bewußtseins' vorlegt, stützt sie sich ausschließlich auf Denkmodelle des patriarchalen Bewußtseins: auf den Sagenbestand des klassischen griechischen Altertums, auf die Erlösungsideen der spätantiken und christlichen Gnosis; sie beruft sich auf die Mystik der mittelalterlichen Kabbala, auf die Vorstellungen der Alchemie, auf das Heldenepos der mittelalterlichen Dichtung und die volkstümlichen Überlieferungen, welche die Romantik gesammelt und als Märchen neu formuliert hat.
Alle diese Literaturgattungen spiegeln, solange wir sie unhinterfragt stehen lassen, das abgespaltene, unbehauste, heimatlos gewordene Weltgefühl des Patriarchats: Die Menschen fühlen sich ständig bedroht aus irgendeinem Erdenwinkel, den sie nicht kennen, von einer Dunkelseite, die sie nicht beherrschen. In einer Seelenschicht, die ihnen unbewußt ist, lauert das Überschwemmende und Überwältigende, das Verschlingende und Tötende, das sich in der Projektion auf das Weibliche ein Ventil sucht. Der patriarchale Mythos ersinnt den Tartaros, den untersten Kreis der Hölle, der zum Strafort wird, an den der olympische Zeus seine Feinde verbannt. Aus dem Chaos geboren, von einem Feuersturm und unüberwindlichen Mauern umschlossen, wird dieser 'tiefste Teil der Unterwelt' zum Wohnort der Erinnyen, die einst gewagt haben, den Muttermord mit Ruhelosigkeit, Wahnsinn und Tod zu bestrafen.









Gerda Weiler, Der enteignte Mythos.
Eine feministische Revision der Archetypenlehre C.G. Jungs und Erich Neumanns
Holdenhof - Mediathek
















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