Samstag, 1. Dezember 2012



















Taschen Verlag, Klaus Jürgen Sembach, Art Nouveau - Jugendstil:




Loie Fuller stellte in mehrfacher Hinsicht ein Phänomen dar: Sie war eine abstrakte Plastik, und sie machte Bewegung zum Absolutum, vergleichbar vielleicht mit der Schiffsschraube im Wasser, aber diese erzeugte Antrieb, Loie Fuller nur sich selbst. Ihr Stillstand muß desillusionierend gewesen sein, schon Photographien, die sie auf einer Wiese tanzend zeigen, enthüllen, wie primitiv das Werkzeug der Stäbe war, mit denen sie zu hantieren pflegte. Ihr Bereich war der distanzierende Kunstraum der Bühne, der die Mittel unsichtbar macht und reine Wirkung hervorbringt. Mit dieser Einschränkung konnte die Verlockung, die von ihr ausging, allerdings auch zum Verhängnis werden.
Gefeit dagegen, sich in Künstlichkeit und Narzißmus zu verlieren, waren alle jene, denen es wie Hermann Obrist und August Endell in München gelang, die große umfassende Gebärde zu gestalten, oder die wie Victor Horta und Henry van de Velde in Brüssel, Hector Guimard in Paris und Richard Riemerschmid in München in überzeugender Weise konstruktiv zu denken vermochten. Sie vor allem setzten die Fanale, gaben Maßstäbe und rechtfertigten es, die vereinzelten Ansätze einen neuen Stil zu nennen.
Allen diesen Künstlern ist nun gemeinsam, daß ihre Werke nicht statisch wirken, sondern bewegt - sei es durch gleitende, schnellende, zuckende, sich verknotende und wieder auseinandersprengende Formen oder aber durch das Sichtbarmachen innerer Kräfteverläufe an Möbeln, Gerätschaften und Häusern. Eine weitgehende Abstraktion kennzeichnet die Dinge gleicherweise und distanziert sie von den Hervorbringungen jener Künstler, die sich auf schweifende Haare, ziehende Schwäne und schlängelnde Nixen kapriziert hatten.










Prestel Verlag, Norbert Wolf, Jugendstil:




Erstaunlich, dass der Tanz, vordem nur in Ballräumen, Tanzsälen oder auf Volksfesten anzutreffen, ungefähr seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts derart ästhetisiert wurde, sei es in Form des individuellen Ausdruckstanzes, sei es im Medium des Balletts, das 1909 in Sergej Djaghilevs "Ballets Russes" alle Welt begeisterte. Erstaunlich auch, dass die revolutionären Impulse nicht aus England oder Kontinentaleuropa kamen, sondern aus den USA und aus Rußland.
Die amerikanische Tänzerin Loie Fuller war mehr als ein Star des Jugendstils, sie wurde zum Mythos. Als sie 1891 in New York auftrat, jubelten die Zuschauer: "It's a butterfly! A butterfly!" Ihren wahren Durchbruch erlebte sie indes nicht in den USA, sondern in Europa.
Schnell galt ihr Tanzstil als Synonym für die zeittypische Linienseligkeit. Claude Debussy schwärmte, nie sei seine Musik vollendeter interpretiert worden als durch diese Frau, diese "lebendig gewordene Arabeske" (Ahlers-Hestermann).
Fuller kultivierte in den nächsten Jahren ihr Image, indem sie immer exquisitere und dünnere Schleier wie in züngelnde Kaskaden, in gleißende Fontänen einhüllte und ihren Körper so und mit Hilfe raffinierter elektrischer Lichteffekte visuell entmaterialisierte - eine symbolistisch-moderne Salome, ein lebendes "Gesamtkunstwerk". Den größten Triumph erlebte ihre Choreografie mit den raumfüllenden, kreisenden Bewegungen während der Weltausstellung 1900 in Paris, als Henri Sauvage als "Kokon" für ihre Auftritte einen Theaterpavillon errichtete, mit einem von Pierre Roche gestalteten Fassadenrelief, dessen Ornamentik das Flattern von Schleiern signalisierte (Abb. rechts unten).
Um Loie Fuller und ihre multimedialen Bühnenshow zu sehen, eilten Künstler auf der ganzen Welt nach Paris. Toulouse-Lautrec verewigte sie und ihren Serpentinentanz auf Bildern und Plakaten ...
Auch Kolo Moser widmete sich in einem stupenden Plakatentwurf dem Serpentinentanz Fullers, die in der ersten Februarhälfte 1902 im Theater in Wien gastierte ... Mit langen Stäben dirigierte sie diese Draperie zum raumfüllenden Ornament. Links und rechts züngeln vor schwarzer Folie bengalische Feuer hoch - von der geschäftstüchtigen Amerikanerin nach neuestem pyrotechnischen Knowhow inszeniert.






















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