Freitag, 26. Juni 2009

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Magierinnen und Magier, Heilerinnen und Heiler hat es zu allen Zeiten gegeben. Die Völker haben mit ihnen gelebt. Die Leute glaubten an heilsamen Zauber. Auf Schadenszauber wandten sie Gegenzauber an. Die Kirche sah sich bei ihrem Eroberungszug in Europa der althergebrachten Magie gegenüber, die in sogenannten heidnischen Kulten wurzelte. In der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends u.Z. hatten die Päpste versucht, Zauberinnen und Zauberer zu neutralisieren und durch Heilige zu ersetzen, die der Christ gegen Schadenszauber anrufen sollte. Als "Dummheit von armseligen Menschen" wurde die tradierte Magie abgewertet, Exkommunikation und Ausschluß aus der kirchlichen Gemeinschaft waren die Strafen, mit denen der alte Glaube ausgerottet werden sollte (Fußnote). Bis zur Jahrtausendwende versuchte die Kirche, "den Glauben an die Möglichkeit von Nachtfahrten ... als bare Einbildung ... zu bekämpfen" (Fußnote) und Heilungen durch Kräuter, Magie und überkommenes Heilwissen zu purem Aberglauben abzuwerten, ohne gegen Zauberinnen und Zauberer mit Pogromen vorzugehen.
Jedoch konnte die römisch-katholische Kirche den Glauben an die Kräfte der Magier und Magierinnen nicht aus der Welt schaffen. Es war nicht möglich - auch innerhalb mehrerer Jahrhunderte nicht - das Vertrauen in die Wirkung der christlichen Magie zu stärken. Die meisten vertrauten nach wie vor der in Jahrtausenden gewachsenen Volksweisheit.






Im 13. Jahrhundert änderte die Kirche ihre Taktik. Hatten bisher an den Hochschulen von Salerno und Montpellier Juden, Moslems und Frauen studieren können - auch in der Lehre waren dort Frauen anzutreffen-, so bemächtigte sich die Kirche der Universitäten und legte eine neue verbindliche Studienordnung fest: "Man mußte männlichen Geschlechts, streng katholisch und 'ehrbaren Herkommens' sein ... und bevor das eigentliche (medizinische) Studium aufgenommen werden durfte, standen Theologie, Philosophie, Latein und Logik auf dem Lehrplan (Fußnote).
1185 erklärte Papst Gregor VII. die freie Universität von Montpellier zu päpstlichem Territorium. Während der kommenden Jahre verstärkte der Klerus seinen Einfluß auf alle Universitäten im Lehrgebiet der römisch-katholischen Kirche ...


















Keine 'zauberkundige Frau' bedurfte der Unterstützung durch ein männliches Wesen. Denn ihre Erfahrung und ihr Wissen setzte eine Tradition weiblicher Unabhängigkeit und Stärke voraus.
"Vorstellungen eines die Hexen begleitenden oder unterstützenden Teufels" spielten im Volksglauben an die magische Kraft mancher Frauen keine Rolle (Fußnote). Als die Zauberin zur "Hexe" dämonisiert wird, steigert sich die unheilvolle Entwicklung.




Dem "Teufel" beigesellt, wird sie selbst teuflisch. Und weil jede Frau verdächtigt werden kann, eine "Hexe" zu sein, werden die Frauen durch diese Ideologie auf tiefste erniedrigt und bedroht. Aus den Werken der Theologen und Philosophen und aus den Aussagen, die Frauen und Männer unter der Folter zu Protokoll gegeben hatten, läßt sich das Wahnbild zusammensetzen, das in "der Zeit der Verzweiflung" (Bovenschen u.a. 1977) die kollektive Denknorm beherrschte:
In wildem Ritt stürmt die "Hexe" auf dem Rücken des Bocks durch die Lüfte. Alle kennen die beiden: Die "Hexe" reitet auf dem "Teufel" druch die dunkle Nacht. Und niemand zweifelt daran, daß sie ins Gebirge reiten, zum Hexentanzplatz, wo der Teufel eine heidnische Kultstätte hat und orgiastische Feste feiert.
"Für Licht sorgten einzelne Frauen, die sich mit gespreizten Beinen um die Lichtung stellten, mit dem Rücken zu den Anwesenden; sie beugten sich so mit dem Kopf nach unten, daß ihnen Kerzen in ihren Hintern gesteckt werden konnten. Wer sich weigerte, erhielt Prügel. (Fußnote)
Die Hexen müsssen dem Teufel das dreckige Hinterteil küssen, sie überreichen ihm Opfergaben, meist die Leichen ungetaufter Kinder. Zum Festmahl werden Scheußlichkeiten angeboten, die den Anwesenden köstlich munden: Fleisch von getöteten Kindern, von Hunden, Pferden, Raben, von Kröten und Ungeziefer. Salz ist verboten. "Falls einer trotz des Verbots heimlich Salz mitbrachte, mußte er ebenfalls mit Prügel rechnen." (Fußnote)
Nach dem Essen ertönt Höllenmusik, wilde Tänze erregen die Sinne. In haltloser Unzucht vermischt sich jede mit jedem, die Hexen mit den Ziegenböcken, die als Unterteufel fungieren, Männer treiben es mit Männern, Eltern mit Kindern, Frauen mit Frauen. Die größte Ehre wird der besten Hexe zuteil, die mit dem Oberteufel, dem Herrn der Unterwelt, kopuliert.
Zeitgenössische Bilder zeigen den "Teufel" oft mit kunstvoll gedrehten Hörnern, die den spiralförmigen Hörnern des Steinbocks gleichen. Sie sind ausladend geschwungen wie die Mondsichel, wenn sie über den Nachthimmel wandert. In Gestalt des Steinbocks sitzt der "Teufel" auf dem goldenen Sessel, dessen Glanz sich in Flammen auflöst. In vielen Beschreibungen gebärdet der "Teufel" sich feierlich wie ein Hoherpriester.






Die Vorstellungen eines regelrechten Kultbetriebes, dem die angeblichen Anhänger des Teufels gedient haben sollen, evoziert die Frage, welche Überlieferungen hier transportiert werden. Philosophische und theologische Texte, Verfahrensprotokolle bei Hexenprozessen und nicht zuletzt die Welt der Bilder offenbaren, daß der Hexenwahn alle Züge den matriarchalen Religionen entleiht, sie umkehrt, verfälscht und dämonisiert.
Die allmähliche Herabstufung des Weiblichen geht bis auf die patriarchalen Mythendichter des Altertums zurück. Sie haben Inhalte der matriarchalen Kultur, ihre Symbole, Rituale und Glaubensüberzeugungen umgedeutet. Hesiod stuft die orientalische kosmische Himmelsgöttin zur Tochter des Gottes herab. Homer reduziert - wie ich gezeigt habe - ihren umfassenden Charakter auf einen einzelnen Aspekt. Die Heilige Hochzeit degeneriert zur Tempelprostitution. Die Liebe als daseinsumspannendes Agens, das den Menschen die Wiedergeburt zusagt, wird dämonisiert und verdrängt. Schließlich verlegt der christliche Auferstehungsglaube die Hoffnung der Menschen auf den "jüngsten Tag". Sexualität wird abgespalten und verteufelt. Sie gilt nun als Sünde, die den Tod in die Welt gebracht habe. Nach christlicher Lehrmeinung ist "der Tod der Sünde Sold".







Einst lenkte die Göttin ihr totemistisches Lieblingstier. Für die dämonologische Philosophie war es wichtig festzustellen, "daß eine Zauberin nicht aus eigener Kraft fliegen kann, sondern der Teufel ihr dabei hilft" (Dülmen).
Aphrodite, die königliche Himmelsgöttin, wurde in ihrem ureigensten Bereich entmachtet und in Text und Bild zur Hexe.
Die "Hexe" als Gegenbild der Göttin wurde vom Männlichen in jeder Beziehung abhängig. Sie diente dem Teufel, sie küßte ihm den Hintern. Sie selbst war nicht primär die Schadensstifterin, sondern "Mitglied einer Teufelssekte". Der Teufel wurde zum "Herrn". Die "Hexen" hatten nur zu gehorchen. Obwohl die Schandtaten vom "Teufel" gefordert worden waren, richteten sich die Verfolgungen vorwiegend gegen die Frauen. Gegenüber der Souveränität, mit der matriarchale Weiblichkeit über sich selbst verfügte, war die "Hexe" unselbständig. Den Frauen wird mit dieser Ideologie suggeriert, die Treue zu den vorchristlichen Kulten nutze ihr nichts. Auch dort sei sie Unterworfene, also Dienende.
In pervertierter Gestalt ahmt der "Hexenkult" angeblich die Ekstase der Heiligen Hochzeit nach. Hier wie dort wird die Liebe von Festmahl und Tanz, von Rausch und fröhlichem Gesang begleitet. Hier wie dort stehen Hohepriesterin und Hoherpriester als inkarnierte Gottheiten im Zentrum des Geschehens. Während das Hohelied mahnt: "Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, daß ihr die Liebe nicht stört, bis es ihr selbst gefällt (Hohelied 8,4), beobachtet beim Hexensabbat "der oberste Teufel alles Treiben" wohlgefällig. Die "Töchter Jerusalems" bitten um Ruhe für ihre Liebesfeier; im Hexenkult tobt "eine allgemeine Orgie" ..., bei der "es alle miteinander treiben."
Glanz und feurige Flammen umgeben den "Teufel". In Gestalt des Bocks trägt er - wie erwähnt - meist die geschwungenen und spiralförmigen Hörner des Wildziegenbocks, des sogenannten Steinbocks. Nicht irgendein Ziegenbock ist der "Hexe" beigesellt, sondern das totemistische Kulttier der Göttin. Der Bock wird in der Vorstellung der Dämonologen zum Gegenbild Gottes. Unter der Folter gestanden "Hexen", sie hätten den Teufel für einen Gott gehalten, er galt als "König" der Unterwelt. "König" war seit altersher ein Attribut des matriarchalen Gottes.






Aus:
Gerda Weiler, Ich brauche die Göttin. Zur Kulturgeschichte eines Symbols







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