Eigentlich müßten wir mit der Geschichte der ”Neuen Bewegungen” gar nicht in den sechziger Jahren anfangen, sondern unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Beginn der von der Atombombendrohung überschatteten Wirtschaftskriege.(1)Die ”Alten”, gleichermaßen enttäuscht von all dem, was sie in den Sackgassen von Kapitalismus, Kolonialismus, Faschismus, Stalinismus erlebt hatten, übertrugen ihr Gefühl für die Zerstörungen in ihrem Innern auf die Welt, in der sie nur apokalyptische Zeichen von Untergang und Götterdämmerung sahen. Für jene Zeit sind für mich bezeichnend die Worte des Franzosen Celine, für den offenbar die Riesenstadt Paris, in deren Vorort er hauste, nur noch eine gähnende Leere darstellte: ”Ich sehe aus meinen Fenstern Trümmer, Steppen, Wüsten. Alles ist im Römischen Reich, in Europa zerstört, so gründlich, daß es die Gespenster, die in den Ruinen herumirren, gar nicht wahr haben wollen. Vielleicht hat es nur in euren Alpen noch ein paar wackelige Hütten, in denen ein paar lebendige Menschen wohnen ”(2)
Ein wichtiger Ausdruck solcher auf Europa und Nordamerika liegenden, in gewissen Beziehungen sich sogar noch immer verdichtenden Stimmungen ist z. B. die Malerei des ”psychedelischen” Künstlers H. R. Giger von Zürich, dessen Poster in fast unglaublichen Ausmaßen den Weg an die Wände von Kommunen der Schweiz und Deutschlands fanden: Der Fußboden einer Durchschnittswohnung kann sich auf den Bildern Gigers in einen blutigen Schleim verwandeln, den Fleischteppiche aus frühgeborenen Kindern bilden. Hier befinden wir uns in einer noch schauerlicheren Weiterentwicklung jener Zeichnungen des Künstlers, auf denen Embryonen aus Roboter-Gebärmüttern in eine unwirkliche, tote Welt treten - schon mit Mordwaffen in den Händen: Dies um sich in einen ewigen teuflischen Krieg zu stürzen, deren ”Nachschub” zu sein der einzige Zweck ihrer unmenschlichen Zeugung zu sein scheint... Unerwünschte Zufalls-Kinder treten in der Schau der psychedelischen Kunst in eine kalte und böse gewordene Welt. Ohne Glauben an Leben und Liebe vom Elternhaus, vom Mutterleib an, bleiben ihnen nur wenige Möglichkeiten: Zerstörung des Nächsten im mechanisierten Krieg oder auch ”nur” im mörderischen Konkurrenzkampf des Alltags unserer Leistungsgesellschaft. Oder die qualvolle Selbst-Zerstörung, eben das ”Fixen”, das Einspritzen von Opiaten in den Blutkreislauf: das Zurückschleudern des Ichs in den Zustand des Nicht-Denkens, der Urnacht vor der Geburt.(3)

Sergius Golowin
Das Zeitlose in der Industrie-Gesellschaft
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